Erster Schritt = "DA SEIN KÖNNEN"
Die erste von vier inneren Zustimmungen
Das Finden der inneren Zustimmung zu den eigenen Handlungen und dem eigenen Dasein stellt einen zentralen Schlüssel im Existentiellen Coaching dar.
Dies bedeutet, dass der Mensch dazu ermutigt wird, sein Leben so zu gestalten und sich darauf einzulassen, dass er mit innerer Zustimmung bei seinen Handlungen und seinem Dasein sein kann.
Freiheit ist das zentrale Theorem, auf deren Entwicklung und deren Einsatz die Existenzanalyse ausgerichtet ist.
Damit stehen die Selbstpositionierung und Entschiedenheit des Menschen im Mittelpunkt.
Dank ihrer kann sich die Person als Gestalter ihres Daseins erleben.
Im täglichen Erleben wird der Einsatz der Freiheit in Form der emotional empfundenen Zustimmung zu dem, was man tut oder lässt, vollzogen.
Die Entwicklung dieses inneren "Ja" als Zustimmung zum Leben bildet die primäre Zielsetzung im Existentiellen Coaching und ist ein komplexes Geschehen, das alle großen Bereiche des menschlichen Lebens umfasst.
In seiner konkreten Ausprägung beinhaltet das innere "Ja" vier grundlegende Dimensionen, die den Strukturen der Existenz entsprechen:
Ja zu den Bedingungen und Gegebenheiten: Dieses beinhaltet die Akzeptanz der äußeren Rahmenbedingungen und Gegebenheiten, die die Basis für das Handeln bilden.
Ja zu Werten: Es umfasst die emotionale Verbindung zu den eigenen Werten oder die Bereitschaft, eine Beziehung zu Werten aufzubauen.
Ja zum eigenen So-Sein: Dies bezieht sich auf die Akzeptanz und das Wertschätzen der eigenen Einzigartigkeit sowie dessen, was für die individuelle Person von Bedeutung ist.
Ja zur Zukunft und zur Veränderung: Es schließt die Zustimmung zur Entwicklung und Veränderung ein, die Aufforderung zum Handeln und die positive Einstellung zur Zukunft.
In dieser Weise umspannt das innere "Ja" die vier Dimensionen bzw. Grundbedingungen der Existenz:
Die Welt mit ihren Bedingungen und Möglichkeiten.
Das eigene Leben und die erlebte Vitalität.
Das eigene authentische Person-Sein / die Einzigartigkeit des So-Seins.
Die Zukunft mit der Aufforderung zum ethischen Handeln.
Dieses ganzheitliche Verständnis des inneren "Ja" bildet die Grundlage für die individuelle Erfüllung und ermöglicht es dem Einzelnen, mit innerer Zustimmung bei seinem Da-sein und seinen Handlungen präsent zu sein.
Schritt 1:
das „Ja“ zu den Bedingungen und Gegebenheiten
der Existenzanalyse fokussiert auf das facettenreiche Sein-Können in einer Welt, die der Mensch ungefragt betritt.
Diese Welt existiert schon vor seiner Geburt und gewährt ihm nicht nur die Möglichkeit zu sein, sondern auch den Boden, Halt und Schutz.
Gleichzeitig konfrontiert sie ihn mit Bedingungen und Begrenzungen, stellt ihm Ungefragtes, Unerwünschtes, Unabänderliches und Bedrohliches entgegen.
Der Mensch muss sich mit dieser unveränderlichen Realität auseinandersetzen und stets bereit sein, sie anzunehmen.
Es erfordert die Fähigkeit, Dinge zunächst so zu akzeptieren, wie sie sind, um dann kreativ mit ihnen umzugehen. Der Versuch, diese Akzeptanz zu erreichen, wird maßgeblich durch die Intensität der Einschränkungen im Leben beeinflusst. Je deutlicher der Einfluss des Poles der Bedingtheit spürbar wird, desto größer wird der Druck, begleitet von einem Gefühl der Unfreiheit und Unsicherheit, das mit der Existenz verbunden ist.
Das Können, das sich im Leben entfaltet, beginnt mit einem grundlegenden "Lassen" – die Fähigkeit, Dinge sein zu lassen.
Im Laufe des Lebens müssen zahlreiche Vorstellungen und Idealbilder aufgegeben werden, sei es die Illusion eines perfekten Partners, eines unvergänglichen Körpers oder die Vorstellung, das gesamte Leben lang von Leid und Schicksal verschont zu bleiben. Dieses Lassen ist keine Kapitulation, sondern ein geschickter Einsatz.
Ein Trapezkünstler dient als sichtbares Beispiel für dieses Prinzip des Lassens. Er arbeitet nicht gegen die Kräfte, sondern passt sich vollständig den Gesetzen der Schwerkraft an und arbeitet mit ihnen. Er lässt sie sein und schwimmt nicht gegen die Strömung, sondern mit ihr.
Seine Kunst besteht darin, kaum etwas zu tun, sondern stattdessen zu steuern und Akzente zu setzen – eine Kunst des Könnens.
Auch im Arbeitsleben und in Beziehungen bedeutet Können, Weichen zu stellen und "es" geschehen zu lassen. Dabei drückt sich das Vertrauen in die Kraft des Seins aus.
Können bedeutet, mit dem zu arbeiten, was vorhanden ist.
Es ist die Fähigkeit, die Realität zu akzeptieren und geschickt mit ihr umzugehen.
Diese Fähigkeit hat vier wesentliche Voraussetzungen:
Erstens die Kenntnis der Realität und ihrer Gesetze,
zweitens die Einschätzung der verfügbaren Energie,
drittens die Auswahl geeigneter Werkzeuge und
schließlich die Auswahl eines Konzepts, eines inneren Bildes, das die Handlung vorwegnimmt.
Das Wechselspiel zwischen Können und Nicht-Können prägt die menschliche Existenz.
Der Traum nach Leichtigkeit und Unbeschwertheit steht im Kontrast zur Bedingtheit und Begrenztheit unseres Daseins.
Die materielle Realität, in der unser Menschsein verankert ist, gehorcht nicht unseren Wünschen. Der Mensch muss sich ihr beugen, sich unterwerfen und akzeptieren, was sich ihm entgegenstellt.
Die Realität setzt Widerstand, Grenzen und Einschränkungen, lastet und drückt auf uns.
Gleichzeitig bietet sie jedoch auch Unterstützung, Halt und Raum. In diesem Spannungsfeld zwischen Können und Nicht-Können entfaltet sich die komplexe Dynamik menschlicher Existenz.
Um unter widrigen Bedingungen sein zu können und die Grundlage allen Motivierens, Handelns und Existierens aufrechtzuerhalten, sind zwei entschiedene Aktivitäten von entscheidender Bedeutung:
1. Selbstreflexion und Selbstannahme:
Die erste personal-aktive Komponente besteht in der tiefgreifenden Selbstreflexion und der uneingeschränkten Annahme des Selbst. Es erfordert die Bereitschaft, die eigene Realität klar zu sehen und ohne Illusionen zu akzeptieren. Die Fähigkeit, sich selbst in der begrenzten Welt zu akzeptieren, schafft eine Grundlage, um mit den Herausforderungen umzugehen.
Hierbei spielt die Existenzanalyse eine wesentliche Rolle, indem sie Wege zur Selbstannahme und zur Entfaltung des eigenen Potenzials aufzeigt.
2. Entschiedende Gestaltung des Lebens:
Die zweite personal-aktive Komponente besteht in der entschiedenen Gestaltung des eigenen Lebens, auch unter begrenzten Bedingungen.
Dies bedeutet nicht nur, den Umständen passiv zu begegnen, sondern aktiv zu handeln, um den eigenen Raum zu schaffen und zu nutzen.
Ähnlich wie der Trapezkünstler, der geschickt mit den Gesetzen der Schwerkraft arbeitet, erfordert die entschiedene Gestaltung des Lebens ein bewusstes Steuern und Setzen von Akzenten, auch wenn die äußeren Bedingungen restriktiv erscheinen.
Die Prinzipien der Existenzanalyse bieten wertvolle Werkzeuge für diese personalen Aktivitäten.
Durch den Fokus auf Sinn, Werte, Kreativität und Verantwortung leitet die Existenzanalyse dazu an, sich selbst zu erkennen, das eigene Potenzial zu entfalten und aktiv am eigenen Lebensweg zu arbeiten.
Sie hilft dabei, eine tiefe Selbstakzeptanz zu entwickeln und in entschiedener Weise das eigene Leben zu gestalten.
In der dualen Dynamik von Selbstreflexion und entschiedener Lebensgestaltung liegt die Schlüsselressource, um unter den vielfältigen Widrigkeiten des Lebens sein zu können und die Grundlage für ein erfülltes, authentisches Existieren zu bewahren.
Das Vertrauen in diese Welt - dass sie uns hält, transformiert sich zu einem transzendentalen Vertrauen, denn das, worauf vertraut wird, übersteigt alle menschliche Erkenntnis und Verständnis.
Dieses Grundvertrauen fungiert als der ultimative Ursprung aller anderen Formen von Vertrauen.
Es ist das Vertrauen in den letzten erlebbaren Halt und ein oft unbewusster Akt des Sich-Einlassens auf das als "letzten" erlebbaren Halt im Dasein – auf das, was einem als "Seinsgrund" entgegenkommt.
Das Grundvertrauen beruht auf der tiefen Erfahrung, dass immer etwas "da ist", das auffängt und Halt gibt, selbst wenn alles aus den Fugen gerät.
In erlebter Form läuft das Grundvertrauen darauf hinaus zu spüren, dass "es nie vorbei ist, sondern immer irgendwie weitergeht"
Der optimistische Wahlspruch seit meiner eigenen Kindheit lautet: "Wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her".
Es ist das Empfinden und das Vertrauen darauf, dass diese Welt nicht "grundlos" ist.
Der Seinsgrund, als der tiefste Grund in dieser Dimension der Existenz, fungiert metaphorisch als der Boden, in dem die Wurzeln des Grundvertrauens tief verankert sind (vgl. Heidegger 1979).
Seine psychologische Bedeutung liegt darin, dass er das Gefühl eines umfassenden, von äußeren Umständen unabhängigen, letzten Gehaltenseins vermittelt.
Im spirituellen Erleben wird der Seinsgrund als ein Aufgehoben-Sein "in jedem Fall" erlebt. Selbst im Angesicht des Todes bleibt etwas vorhanden, worauf man sich verlassen kann. Selbst wenn es als Nichts interpretiert wird, handelt es sich doch um eine gefühlte letzte Ordnung, die Bestand hat.
Das Konzept des Seinsgrundes weitet den Blick über die unmittelbare Erfahrung hinaus und verankert das individuelle Vertrauen in etwas, das über die rein materielle Existenz hinausgeht.
Es eröffnet die Möglichkeit, sich inmitten aller Unsicherheiten und Herausforderungen des Lebens auf einen tiefen, transzendentalen Halt zu stützen. Dieser letzte Grund wird nicht durch äußere Umstände erschüttert und bietet eine Grundlage, die über individuelle Erfahrungen und Lebensspannen hinausreicht. Es ist das Fundament, das dem Gefühl des "Immer-Weitergehens" und des "Nie-Ausseins" zugrunde liegt, selbst in den tiefsten Abgründen des menschlichen Daseins.
Aus der tiefen Erfahrung des letzten Gehaltenseins und dem Staunen darüber, dass das individuelle Sein existiert, entspringt die philosophisch durchdrungene Frage:
"Kann ich dem Leben grunsätzlich ein freies "Ja" entgegenbringen?"
Dieses freie "Ja zur Welt" ist gleichzeitig ein "Ja zum - Dasein" und zu seinen Bedingungen.
Es repräsentiert die Einwilligung und Zustimmung zum "auf der Welt Sein" und zu dem, was ist. Es ist die Fähigkeit, das Leben als gegeben anzunehmen und das, was schwer ist, auszuhalten.
Vgl. das berühmte "Gelassenheitsgebet":
"Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann. Den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann.
Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden".
Dieses "Ja" entspringt nicht aus Naivität oder Ignoranz gegenüber den Herausforderungen des Lebens, sondern aus einer tiefen Einsicht in die eigene Existenz und einer Annahme der Realität.
Es ist eine philosophische Haltung, die in der tieferen Erfahrung des Lebens wurzelt und die Fähigkeit beinhaltet, die Welt in ihrer Ganzheit anzunehmen, selbst wenn sie uns mit Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten konfrontiert.
Literatur:
Heidegger, Martin (1979): Sein und Zeit. Niemeyer, 15°. Tübingen
Längle, Alfried; Bürgi, Dorothee. (2020): Existentielles Coaching: Theoretische Orientierung, Grundlagen und Praxis für Coaching, Organisationsberatung und Supervision. Facultas. Wien
Längle, Alfried (2021): Existenzanalyse und Logotherapie. Kohlhammer.Stuttgart
Comments